Mogelpackungen des Jahres

Das Versagen der deutschen Politik

Und wieder jährt sich das Schauspiel um Handelsprodukte mit reduziertem Inhalt bei gleichem oder sogar höherem Preis als zuvor. Ein Kasperle Theater wenn man die große öffentliche Empörung bedenkt, ohne dass es eine Konsequenz aus Reihen der Politik fände. Da fragt man sich doch wofür haben wir ein Ministerium für Verbraucherschutz oder eines für Ernährung und Landwirtschaft?

Oft finden sich im Ausland irgendwelche ominösen Ministerien für Propaganda oder mit sonstwie bedeutungslosen oder aufgeblähten Auftrag, ein Ruheposten gewissermaßen für Politiker noch während ihrer aktiven Erwerbszeit. Grandios persifliert in Monty Pythons „Ministry Of Silly Walks“ oder auch in neuerer Zeit mit der Berufung des Internetpioniers und Sprachgenies Günther Oettinger zum EU-Kommissar für Digitales.

Auf Ebene der EU ist man keinen verantwortungsvolleren Umgang mit Steuergeldern aka Beitragszahlungen gewohnt, man denke nur an fragwürdige Verordnungen wie den Krümmungsgrad von Gurken, Größenvorgaben von Pizzen, die Sonnenschein Richtlinie oder die Feinstaub-Richtlinie. Was man halt so tut, wenn man eigentlich keinen rechten Gestaltungsauftrag hat und doch ein aufgeblähtes Parlament nach außen verteidigen will.

Anders das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Dieses hätte einen Auftrag, eine Legitimation, scheitert jedoch schon an so banalen Dingen wie der Einführung einer Lebensmittelampel, der visuellen Angabe ungesunder Inhaltstoffe wie Zucker und Fett. Viel diskutiert und von der Bevölkerung gefordert aber nie umgesetzt. Am Veto von Lobbyisten gescheitert, sagt man hinter vorgehaltener Hand. Wer macht hier eigentlich Politik für wen?

Errungenschaften der EU
Dass wir sie nun doch endlich haben, in abgespeckter Form zwar und auf rein freiwilliger Basis, ist aber wohl kaum Frau Klöckner zu verdanken, sondern der EU.  Nutri-Score. Doch auch mal ein Lichtblick.

Geschmälert wird diese positive Leistung mit der vorherigen Änderung der Fertigverpackungsverordnung in 2009, in der die einst verbindliche Festlegung von Verpackungsinhalten für beispielsweise Schokolade mit einem Mal entfielen. Begründet wurde diese Änderung mit dem Ziel des Abbaus von Bürokratie. Klingt nobel, aber was genau sollte bürokratisch daran sein, dass eine Schokoladentafel zum Zwecke des Preisvergleichs bei allen Herstellern einheitlich 100g wiegt? Das Europäische Komitee für Normung (CEN), wie auch das Deutsche Institut für Normung (DIN) oder die ISO, erstellen seit vielen Jahren Vereinheitlichungen gerade eben zum Abbau von Hindernissen und der Einführung verlässlicher Produktstandards für Verbraucher. Und nun müssen sie Erkennen, dass ihre jahrelange Arbeit quatsch ist, Bürokratie, ohne signifikanten Nutzen?

Nun gut. Als Nicht-Politiker, nicht einmal Jurist, ohgottohgottohgott, fehlt dem Laien eben einfach der Scharfsinn und das perspektivische Denken zukünftige Entwicklungen zu antizipieren. Natürlich wird die Regelung zu stabilen und günstigen Preisen auf freien und somit sich selbst regulierenden Märkten führen.

Wer hätte schon gedacht, dass der Lebensmittelmarkt, dominiert von nur 10 wirklich großen Anbietern und einer handvoll großer Handelsketten alles andere als ein freier Markt sind. Hier sitzen wohlvernetzte Manager an einem Tisch und verhandeln Kombinationen aus Preisen, Bezugs-Kontingenten, Regalmetern und Werbekostenzuschüssen für Waren die aufgrund vorheriger Markenbildung kaum als austauschbar betrachtet werden können. Schließlich kann Aldi, Lidl, Edeka und Co der Endpreis auch herzlich egal sein, solange sie zwischen EK und VK eine erquickliche Marge verdienen. Starre Preisvorgaben durch die Industrie sind laut Wettbewerbsrecht zwar verboten, aber Dank dem UVP findet sich eben doch eine Kommunikations- und Gestaltungsmöglichkeit.

Ausserdem und das kann nicht genug betont werden führt die Markenbildung in vielen Bereichen zu einer festgefertigten, äußerst inflexiblen Kundenorientierung. Einmal Milka immer Milka. Wenn die Schokotafel dann im Kleingedruckten 15g leichter ist bei gleichem VK, wer will das als Kunde am Regal schon recht bemerken und sein Kaufverhalten ändern? Zumal andere Hersteller einfach nachziehen, da sie andernfalls ja nur Geld verschenken.

Mogelpackung

Und so zeigt die Kürung der Mogelpackung des Jahres durch die Verbraucherzentrale Hamburg immer bizarrere Formen der Kundenverarsche, absurde Preissteigerungen bei Produkten mit zeitgleich verringertem Inhalt, die Verringerung hochwertiger Inhaltsstoffe zugunsten von minderwertigen die als Rezepturverbesserungen beworben werden und die Verschleierung von Mengenminderungen durch gleichbleibend große oder optisch manipulierte Verpackungen.

Auf Nachfragen bekommen sie die stets gleichen Antworten der Produktionsgiganten. Kundenwunsch oder gestiegene Rohstoffkosten. So war es Kundenwunsch, dass Miracoli keinen Käse mehr beilegt, Kundenwunsch dass Hipp die Flaschengröße von 500ml auf 330ml eindampft, bei gleichzeitiger Erhöhung des Verkaufspreises wohlgemerkt. Kundenwunsch, Kundenwunsch…

Komisch, mich hat keiner gefragt, auch der Bekanntenkreis zuckt die Schulter. Der Kundenwunsch einer verbindlichen und ehrlichen Lebensmittelampel wurde und wird stets überhört. Auch der nach der echten Unterscheidung zwischen künstlichen und natürlichen Aromastoffen.

Komisch auch der Aspekt der Preissteigerung basierend auf höheren Rohstoffkosten. Wer beide Seiten miteinander vergleicht wird bemerken, dass die marginalen Preissteigerungen beim Einkauf von Rohstoffen 2-5% häufig zu Preiserhöhungen von 15-30% auf der Verkaufsseite führen. Magie.

Die nachstehende Liste der jährlichen Mogelpackungen von der Verbraucherzentrale Hamburg offenbart jedenfalls überdeutlich, dass der „Bürokratie Abbau“ seitens der europäischen Union nicht dem Verbraucher, sondern lediglich großen international tätigen Herstellern gedient hat.

Big Player

Die Übersicht ist wenig überraschend, so sind es vor allem die bekannten Big Player die ihre Marktmacht in der Distribution und im Marketing dazu nutzen verdeckt höhere Preise durchzusetzen. Vor allem, aber nicht ausschließlich, sind Genussartikel mit starkem Markenkern davon betroffen, da hier in der Regel weniger auf den Preis geachtet wird und das Produkt aufgrund seiner Exklusivität gegenüber anderen Produkten wenig austauschbar ist. Choco Crossies gibt’s eben nur einmal im Regal, ebenso wie die Milka Kuh.

Hersteller 2015-2019 [Auswahl]
Nestlé (Choco Crossies, Herta Finesse Schinken, Smarties)
Lorenz Bahlsen (Crunchips, Erdnuss Locken, Chipsletten)
Mondelez (Milka Weihnachtsmann, Milka Nussini, Milka Darkmilk)
Mars (Miracoli Sauce, Mars Minis, Miracoli Spaghetti)

Kritik im allgemeinen

Verminderung der Füllmenge, häufig verbunden mit Täuschung des Verbrauchers durch unverändert große oder umgestaltete Verpackung

Rezepturveränderungen, häufig als Verbesserung beworben, tatsächlich Erhöhung ungesunder Anteile wie Zucker und Fett zu Lasten gesunder, hochwertiger Anteile.

Besonders dreist, auf Nachfrage wird häufig verwiesen auf den expliziten Wunsch der Verbraucher (Bsp. Miracoli Pasta Sauce) die sich kleinere Verkaufseinheiten wünschten. Die Preise indes bleiben gleich. Kann das der Wunsch der Verbraucher sein?

Das Siechtum der deutschen Politik

Bleibt die Frage, könnten unsere hochgeschätzten und wohlgebildeten Politiker denn gar nichts dagegen tun?

Zugegeben die Einführung ergänzender nationaler Regelungen ist ein wenig erschwert. So sagt die Richtlinie 2000 / 36 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.06.2000 in Artikel 4 explizit „Die Mitgliedstaaten erlassen für die in Anhang I beschriebenen Erzeugnisse keine einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die nicht in dieser Richtlinie vorgesehen sind.“ Als Nichtjurist fällt es zugegeben schwer zu beurteilen welche Einschränkungen sich daraus konkret ergeben.

So oder so ist es jedoch ein Armutszeugnis der deutschen Politik, sollte sie entweder Verordnungen zugelassen haben, die ihnen jegliche Konkretisierung von Verbraucherrechten nimmt oder bei einem doch existierenden, bestehendem Gestaltungsrahmen einfach nicht handelt.

Und bei genauerer Betrachtung ergeben sich sehr wohl Gestaltungsmöglichkeiten die Mägen und Geldbeutel der Verbraucher vor den Kraken der Industrie zu schützen.

Gestaltungsspielräume

Möglichkeiten aus Sicht des einfachen Mannes:

  • Sichtfenster sollten stets am obersten Rand enden und damit keiner höhere Befüllung vortäuschen als tatsächlich existent.
  • Verbot von volumenerhöhender Zugaben ohne warenspezifischen Nutzen (Gewinnspiele, Goodies, ..).
  • Mengenänderungen dürften nur 1x im Jahr erfolgen und müssten für die Dauer von 3 Monaten klar erkennbar auf der Vorderseite aufgedruckt sein („-15% Inhalt im Vgl zum Vorjahr“).
  • Keine Täuschung der Kunden durch temporär befristete Zugaben („10+2 gratis“)
  • Widerrechtlich verpackte Ware müsste aus dem Verkauf genommen und auf Kosten der Hersteller entsorgt werden. Keine Fortführung geringerer Inhalte in unnötig große Verpackung mit Verweis auf Restbestände.
  • Preisspiegel, der Verkaufspreis der letzten 3 Jahre pro 100gr/ 100ml / 100 Stück oder einer anderen sinnvollen Einheit muss am Regal klar erkennbar aufgeführt sein.
  • „Rezeptverbesserungen“ die Änderungen müssen direkt auf der Produktvorderseite in gleichgroßer Schrift detailliert werden. Der Wechsel zu schlechteren Inhaltsstoffen wie Separatorenfleisch, Kunstkäse, u.ä. müsste dauerhaft auf der Frontseite für den Kunden erkennbar verbleiben.
  • Der Verweis auf Kundenwünsche seitens der Industrie sollte durch öffentlich zugängliche Studien und Befragungen anerkannter Forschungsinstitute begründet werden müssen.
  • Durchführung von Meinungsumfragen durch die Politik hinsichtlich Verpackungsgrößen und Inhaltsstoffen um in der Gestaltung von Lebensmitteln eine aktivere, treibende Rolle einzunehmen.
  • Die Nutriscore Ampel muss verpflichtend werden, für alle Produkte in einem Konzern, keine Rosinenpickerei, indem sie auf reines Mineralwasser aufgedruckt und beim zuckrigen Schokoriegel weggelassen wird.

Die Liste ist ein Schnellschuss, zugegeben. Sie ließe sich um viele weitere und bestimmt sinnvollere Punkte ergänzen und nicht alle aufgeführten Vorschläge dürften nach eingehender Prüfung wirklich zielführend sein und ja auch der Hersteller braucht Gestaltungsspielräume um auf Marktveränderungen einzugehen.

Dennoch es gibt Gestaltungsspielräume zum Wohle des Verbrauchers, die praktikabel und von hohem Nutzen sind, fragt sich nur ob sich die Politik dessen irgendwann annimmt. Der Aspekt des Kundenwunschs erklingt unüberhörbar immer dann, wenn es um kleinere Verpackungsgrößen geht. Die damit einhergehenden Preissteigerungen dürften aber wohl kaum im Sinne des Kunden sein. Andere, tatsächlich auf breiter Basis geforderte Wünsche, wie die der Lebensmittel-Ampel oder der besseren Erkennbarkeit von nicht natürlichen oder ekelerregenden Bestandteilen verhallen indes ungehört.

https://www.vzhh.de/themen/mogelpackungen/mogelpackung-des-jahres

https://www.oekotest.de/essen-trinken/Nutri-Score-Die-Lebensmittelampel-ist-da–bleibt-aber-freiwillig_600906_1.html

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/97369/Foodwatch-draengt-Kloeckner-zur-Einfuehrung-von-Lebensmittel-Ampel

https://www.merkur.de/leben/genuss/wegen-gramm-milka-schokotafeln-immer-weniger-drin-8455572.html

https://www.ernaehrungs-umschau.de/news/06-05-2009-wegfall-verbindlicher-mengenvorgaben-ermoeglicht-versteckte-preiserhoehungen/

https://www.fr.de/wirtschaft/wollen-aldi-lidl-kunden-rewe-edeka-zurueckzugewinnen-12838159.html

https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2010/11_Rueckblick.pdf

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32000L0036&from=DE

https://www.focus.de/finanzen/news/unternehmen/nestle-danone-unilever-diese-zehn-mega-konzerne-kontrollieren-fast-alles-was-wir-essen_id_3974394.html